Donnerstag

Der Mann im Fenster

Es fällt mir immer schwerer. Ich hab permanent das Gefühl, ganz viele Sachen auf dieser Welt laufen ganz ganz schlecht, und wir befinden uns defintiv in der Endzeit unserer Zivilisation. Insgeheim wünsch ich mir das sogar ein bißchen. Ich hab die Hoffnung lange aufgeben, dass wir uns selber aus diesem Loch wieder rausziehen, in das wir vorher ganz viele Sachen geworfen haben die keinen Spaß machen. Ich glaube, wir steuern ungebremst in den Abgrund, wir beschleunigen sogar noch. Vielleicht sogar exponentiell. Es gibt so viele Probleme auf der Welt, so viel Schlechtes und Schlimmes was jeden Tag passiert, so viel Scheiße mit der ich nur fertig werden kann, in dem ich mir denke, es ist eh schon egal, also mach noch das beste draus, sei noch ein bißchen einer von den Guten, spende und empfange noch so viel Positives als möglich in den paar jämmerlichen Jährchen die dir und den andern noch bleiben. Mich macht das schon nicht mal mehr wirklich traurig, ich warte nur drauf, und hoffe, dass sich bald was tut, dass bald was passiert, irgendwas, was was bringt. Und ich halte uns Menschen dafür nicht fähig. Wir können es nicht selbst. Wir sind zu unreif. Paradoxerweise steht das leider ganz im Gegensatz zu dem was in der Bibel steht oder man auch sonst so vernimmt: Spitze der Evolution. Und genau da liegt sie begraben, die Scheiße. Im arroganten Kleingeist der Mächtigen und anderen Idioten und allen anderen und mir. Wir kommen der Verantwortung nicht nach die wir automatisch erlangen durch die Macht die wir bekamen.
Noch schlimmer ist: Wir können so viel, und reden so viel, und machen dann alles anders.
Und noch alberner ist: Wir wüssten ja theoretisch was wir wollen und wie das erreichbar wäre, nur wir können es nicht umsetzen.
Das ist sehr ärgerlich: Wir besitzen die Reife um globale Lösungen für beinahe jedes globale Problem zu entwerfen, aber wir besitzen nicht die Reife sie umzusetzen!
Es gibt ja Lösungen: Kein Lebewesen muss mehr Hunger haben obwohl anderes Lebewesen gleicher Gattung Essen wegwerfen, keiner muss mehr Planeten zerstören auf dem selbst wohnt, keiner muss mehr Lebewesen umbringen die er selbst ist (welches Tier ist so blöd und bringt reihenweise Artgenossen um und isst sie dann nicht mal auf?), keiner muss mehr vergewaltigen Kinder die selbst gezeugt oder anderer gezeugt, keiner muss mehr Nachteil haben weil eigene Eltern Pech gehabt, keiner muss sterben obwohl seine Zeit noch gar nicht gekommen ist.
Aber wir schaffen es nicht. Wir können es nicht. Und ich bin überzeugt: Wir können es wirklich nicht. Der ach so tolle Mensch ist nicht fähig sein eigenes Überleben zu sichern.
Also was wird passieren? Entweder alle oder viele gehen drauf, und die die übrig bleiben lernen praktisch nichts dazu, oder die Sonne strahlt uns 2012 so ins Gehirn, dass wir uns danach endlich als Einheit sehen und nicht als Einzelkämpfer.
Von Anfang an denkt jeder, er müsste überleben, und zwar egal wie, survival of the fittest, nach mir die Sintflut, mir doch egal wenn die anderen verrecken, hauptsache ich kann mir eine goldene Butterdose davon kaufen. Aber Tatsache ist doch, wir sind nicht getrennt, wir denken es nur. Wir sind nicht getrennt, denn selbst zwischen uns, im Raum, wo wir denken da ist nichts, da ist nur Luft, da ist auch was. Wir sehen es nur nicht. Denn es gibt nicht nichts. Sonst wären wir ja ein Körper – also sind wir ein Körper. Und eben nicht nur Du und der andere, sondern auch der Vogel, und der Biber, die Fliege, die Kletterpflanze, die Karotte, und die Kuh, und nicht nur die, auch die Glasflasche und der Stift in deiner Hand, der Laptop vor dir, der Stuhl unter dir, und die Luft um dich herum.
Nur so leben wir nicht.

Und ich schau aus dem Fenster, ich schau nach gegenüber. Ich seh den Mann im Fenster. Er telefoniert. Läuft auf und ab. Er gestikuliert. Heftig. Bleibt stehen. Geht weiter. Aber nicht weil er fürchtet es könnte etwas passieren oder auch nicht. Nein. Er gestikuliert, schaut ins nichts, geht seine Schritte, weil seine ganze Konzentration, seine ganze Person, ja alles was er ist, in genau diesem Moment genau dieses Telefonat führt. Er tut das, und sonst nichts. Er tut es, als wäre er nur für dieses Telefonat gezeugt, gelehrt und genährt. Die Sonne strahlt in sein Fenster, ihn an, der Himmel darüber, blaugrau, die Luft, kalt und klar, das Leben, so schön.

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